Das 15. Stuttgarter Flamencofestival 2025
Text: Chie Martin
Fotos: Peter Martin
In der Vergangenheit gab es in Deutschland diverse Flamenco Festivals, u.a. in Berlin, Dresden, Hamburg, Würzburg und Freiburg. Beliebt in unserer Region war das Festival im Tanzhaus NRW in Düsseldorf mit seinen vielen Auftritten und Workshops. Nach der Coronazeit wurde es leider nicht mehr fortgeführt.
Bemerkenswerterweise feierte das Flamencofestival Stuttgart, das vom 1. bis 9. August 2025 stattfand, in diesem Jahr seine schon 15. Auflage. Die Gründer und Organisatoren sind Catarina Mora und Miguel Ángel Espino. Mit ihrer Liebe und Leidenschaft zum Flamenco, ihrem Engagement und Organisationstalent führen sie das Festival in Stuttgart zum Erfolg.
◆ “It´s showtime!“ im Theaterhaus, Raum T2
Das Festival begann mit der „Gala Flamenca Bailaoras“, in deren Mittelpunkt vier Tänzerinnen standen. Jede Tänzerin ist selbstbewusst und beherrscht ein hervorragendes Niveau.
Sara Luque (Ecija, Sevilla) zeigte als Haupt-Act eine Seguiriya mit Hose statt Kleid. Jung und wild überraschte Sara das Publikum mit männlichen Choreografien.
Carmen Camacho (Málaga) zeigte eine Guajira mit Sombrero cordobés. Schick und präzise ihre Escobilla.
Laura Fúnez (Madrid) tanzte La Caña in traditioneller Escuela bolera. Die Danzaora kombinierte ihr Kastagnetten-Spiel zu schwierigen Tanzbewegungen.
Araceli Muñoz (Lucena, Córdoba) für Cantiña/Alegrías mit Mantón und Bata de cola. Sie bezauberte das Publikum mit eleganten, schnellen Choreografien und sicherer Technik.
Dabei begleiteten die Cantaora Carmen Fernández aus Hannover (ursprünglich aus Utrera, Sevilla), die als Festera die Bulerías sang und tanzte, sowie der Sänger Momi de Cádiz, der für Saeta und Cante jondo bekannt ist.
Die Gitarristen waren Antonio Españadero (Barcelona) und Fernando de la Rua (Brasilien), die schon öfters in Stuttgart dabei waren.
Das war ein toller Start in das Festival!
Am zweiten Abend fand der beliebte Auftritt „flamenquitos©︎“ mit 19 Programmpunkten statt. Die Bandbreite der Teilnehmenden erstreckte sich von Kinder bis Erwachsene und von Anfängerinnen bis Semi-Profi. Es wurden verschiedene Flamenco Palos präsentiert sowie zeitgenössischer Flamenco und Clásico Español mit Kastagnetten. Ob Gruppe oder solo; allen war die Freude am Auftritt anzumerken.
◆ „¡VIVA!“, viva, viva!!
„¡VIVA!“ von Manuel Liñan, dem Preisträger des „Premio de la crítica“ des Festivals in Jerez 2020, wurde schon oftmals weltweit aufgeführt. Und nun endlich auch in Stuttgart. Sechs (männliche) Tänzer kleiden sich authentisch in traditioneller (weiblicher) Traje de Flamenca. Das war ein Traum Manuels aus seiner Kindheit. Damals tanzte er heimlich im grünen Rock. Über 30 Jahre später bringt er es erstmals auf die Bühne. Über das Stück und seine Hintergründe, die Motivation und Gedanken Manuels wurde bereits in diversen Dokumentationen ausführlich berichtet.
In Japan gibt es das traditionelle Kabuki-Theater. Seit 1629 sind alle Darsteller Männer. Die Männer spielen die Frauen und tanzen mit Kimono und Perücke. Sie bewegen sich sehr feminin und elegant. Im Gegensatz hierzu treten nur Frauen bei der Takarazuka Revue (gegründet in 1913) auf. Die Frauen spielen auch die männlichen Rollen. „VIVA!“ ist aber im Flamenco Bereich einzigartig und außergewöhnlich.
Nicht nur die Idee (Dramaturgie: Alberto Velasco), sondern auch die Inszenierung ist perfekt. Nur zwei Bänke werden auf der Bühne als Requisiten benötigt. Jeder Tänzer zeigt seine Individualität und Stärke: Jonatán Miro mit einer leidenschaftlichen Soleá, Manuel Betanzos mit einem Tangos de Triana, Miguel Ángel Heredia mit einer Bulerías de Jerez, Daniel Ramos und Yoel Vargas mit Verdiales mit Kastagnetten. Und natürlich tanzte Manuel einen Taranto, übergehend in einen Tango de Granada.
Alle spielten und kokettierten zwischendurch immer wieder mit typisch weiblichen Stereotypen. Gut dosiert und witzig.
Die Geschichte wurde schnell und fließend erzählt mit viel Musik, Gesang und Tanz. Der Höhepunkt war die Alegrías von allen Tänzern zusammen mit Mantón und Bata de cola diagonal über die Bühne.
Miguel Ángel Heredia sang wie eine Diva, neben den großartigen Sängern Antonio Campos und David Carpio. Die Geige von Victor Guadiana verstärkte das schmerzhafte Gefühl Manuels. Kike Terrón, der Percussionist, unterstützte die Besetzung zurückhaltend. Bemerkenswert ist der Gitarrist Francisco Vinuesa, der als musikalischer Leiter des Stücks fungierte für die Musikgestaltung und deren Umsetzung verantwortlich war.
Am Ende standen alle Tänzer ohne Perücke und Traje de Flamenca auf der Bühne. Sie sahen sehr stolz aus. Es ist tatsächlich ganz egal, wie die Tänzer sich kleiden. Die Menschen sind so, wie sie sind, so individuell und so verschieden, und es ist gut so.
◆ Flamenco für alle
Außerdem bot das Festival insgesamt 17 (!) Kurse für Tanz, Gesang und Gitarre an. Und es gab noch einen Auftritt mit José Manuel Álvarez. Zahlreiche Flamenco-Liebhaber aus ganz Deutschland und den Nachbarländern sind nach Stuttgart gekommen. Stuttgart ist jetzt ein wichtiger Treffpunkt für die Aficionados geworden. Auch die Stadt Stuttgart begreift das Festival seit einigen Jahren als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens und unterstützt es entsprechend. Wir sind schon gespannt, was Catarina Mora und Miguel Ángel Espino für das nächste Jahr planen.
Die Bailaora Asuka Shoji
Text und Fotos: Chie Otani-Martin
Die großherzige japanische Bailaora Asuka Shoji aus Tokyo tanzt den Flamenco schon seit über 30 Jahren. Bei dem renommierten Tänzer Shoji Kojima lernte sie ihre ersten Schritte. Im Alter von 17 ist sie zum ersten Mal aufgetreten. Später ist sie oft nach Spanien geflogen.
Sie gewann im Jahr 2010 einen Preis beim Wettbewerb für junge Künstler in Tokyo. Ihre ausgezeichnete Farruca hat sie berühmt gemacht. 2013 ist sie u.a. im Tablaos Casa Patas, Cueva de la Rocío und Peña La Platería in Spanien aufgetreten.
2019 gründete sie ihr eigenes Studio „Estudio Cañailla“ im beliebten Wohnviertel Jiyugaoka in Tokyo.
Nach ihrem Auftritt im Tablao „Sala Andaluza“ im Zentrum von Tokyo habe ich sie interviewt.
- Ich fange mit einer typischen Frage für Japaner an: was war der Anlass für dich, den Flamenco zu lernen?
Es war das Jahr 1992. Ich war eine 14-jährige Schülerin und hatte damals Fettsucht. Meine Eltern hatten Sorge um meine Gesundheit und wollten, dass ich mich mehr bewege. Zufällig war die Flamenco-Schule von Shoji Kojima gleich in der Nähe. Ich hatte null Ahnung, was Flamenco war. Und ich wußte nicht, dass Herr Kojima ein renommierter Bailaor war. Ich besuchte seine Schule fünf Jahre lang.
Danach habe ich bei anderen Lehrern in Tokyo viele Kurse genommen. Ich wollte eine Profitänzerin werden. Das war mein Traum.
- Du bist sehr häufig nach Spanien gereist. Wie hast Du die Finanzierung dafür geschafft?
Mit der Ausbildung als Apothekerin hatte ich zum Glück einen Job. Damit konnte ich mich ein bisschen selber finanzieren. Aber hauptsächlich haben meine Eltern und auch mein Großvater mich finanziell unterstützt. Zum Beispiel haben sie mir die Flugtickets geschenkt.
- Hast Du ein Studium zur Apothekerin gemacht, während Du mit dem Flamenco beschäftigt warst?
Als ich eine High School Schülerin war, hatte meine Großmutter einen Autounfall. Damals fasste ich den Entschluss, Pharmazie zu studieren. Ich habe das Studium an der Kyoritu College of Pharmacy (Keio University) abgeschlossen. Das war mein zweiter Traum: eine tanzende Apothekerin zu werden. (Lächeln)
- Welche Künstler in Spanien hast du besucht, um deine Kenntnisse zu vertiefen?
Mit 26 Jahren bin ich in Madrid gelandet. Ich habe da einen Auftritt von El Güito gesehen. Ich war total schockiert. Nach dem Ende seines Auftritts bin ich sehr lang auf dem Stuhl sitzen geblieben. Sein Tanz war wirklich fantastisch und sensationell.
Ohne Zögern habe ich seine Kurse besucht. Wenn sein regelmäßiger Unterricht nicht stattfand, habe ich jeden Tag Einzelstunden genommen. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich nur bei ihm der Sache auf den Grund gehen konnte, was der Flamenco-Tanz wirklich bedeutete.
Außerdem habe ich bei Juan Andrés Maya in Granada genau so lange wie bei El Güito gelernt. Da er keinen regelmäßigen Kurs anbot, habe ich ihn jeden Tag in der Höhle besucht, um Unterricht zu nehmen. Später habe ich sogar bei seiner Familie gewohnt. Dadurch habe ich einige Sitten und den Lebensstil von Zigeunerfamilien und noch vieles mehr kennengelernt.
Darüber hinaus habe ich bei verschiedenen weiteren Tänzern gelernt, z. B. bei El Torombo, Juana Amaya, Isabel Bayón, María Juncal, Alfonso Losa und Susana Casas.
Ich gehe nicht zu den Kursen, nur weil dessen Dozenten bekannt sind. Wenn mir ein Auftritt besonders gut fällt, frage ich den Tänzer oder die Tänzerin nach Unterricht. Dies ist für mich die wichtigste Methode, um Flamenco zu lernen. Ich erwarte von ihnen nicht nur den reinen Flamencotanz zu lernen, sondern auch die Essenz des Flamencos zu verstehen. Diese Gedanken bilden mich aus und helfen mir, eine eigenständige Bailaora zu werden, so glaube ich.
Ich habe jetzt viele Namen meiner spanischen Lehrer genannt. Trotzdem ist und bleibt mein ewig großer Maestro: El Güito.
- Hattest Du einige Schwierigkeiten in Spanien? Du hast bestimmt eine andere Kultur kennengelernt.
Tatsächlich hatte ich vielfache Probleme in Spanien. Japaner und Spanier sind sehr unterschiedlich. Wenn ich etwas ganz normal oder üblich finde, denken Spanier ganz anders. Dieser Unterschied der Gedanken fällt mir immer noch schwer.
Mein Körper reagiert auch unterschiedlich. Ich merke, wenn ich auf Spanisch spreche, mache ich viele Bewegungen mit meinen Händen. Ich spreche Japanisch nicht mit dem Körper. Interessanterweise spreche ich in Spanisch rhythmisch, nicht so monoton wie im Japanischen.
„Man muss unbedingt Spanien besuchen, um den reinen Flamenco kennen zu lernen“, sagen japanische Künstler immer. Das ist absolut korrekt. Das Gefühl und den Rhythmus, „el Sentido“, der spanischen Künstler lernt man nur bei ihnen unmittelbar. Ihre Gedanken und Gefühle enthalten die Wurzeln des Flamencos.
Ich habe auch bei ihnen gelernt, wie man das Leben positiver genießt. (Lächeln)
- Es gibt in Japan auch Flamenco-Wettbewerbe. Was bedeutet ein Wettbewerb für dich?
Tänzer und Musiker arbeiten zusammen und sie müssen gut harmonieren. Dass man allein mit Playback perfekt tanzt, hat überhaupt keine Bedeutung. Der Flamenco benötigt eine gute Kommunikation zwischen Tänzer und Musiker auf der Bühne. Man kann es so sagen, dass die Künstler eine gemeinsame Sprache auf der Bühne ohne Worte finden.
Bevor man an einem Wettbewerb teilnimmt, muss man über diese Arbeitsgemeinschaft nachdenken. Du und die Musiker. Wenn die Zusammenarbeit zwischen dir und den Musikern gut läuft, wird die Luft von einer Energie erfüllt. Ein toller Moment.
Selber habe ich zur Zeit kein Interesse an der Teilnahme an einem Wettbewerb. Aber wenn meine Schüler teilnehmen möchten, berate ich sie gern mit meiner Erfahrung. Es gibt vieles mehr auf der Bühne, was man nicht im Unterricht lernen kann.
Die Vorbereitung ist selbstverständlich wichtig. Man muss unbedingt viel trainieren und gute Auftritte nicht nur Live sondern auch in den Medien anschauen.
- Du betreibst ein eigenes Studio in einem sehr schönen und beliebten Viertel von Tokyo.
Ja, genau. Mein Studio habe ich im Juni 2019 gegründet. Ich plane jetzt einen Schülerauftritt in einem Theater.
Wir erleben gerade schwierige Zeiten, um genügend neue Schüler zu gewinnen, da die Geburtenrate in Japan allmählich sinkt. Ich unterrichte meine Schüler mit aller Kraft und Seele. Sie haben sich für ,meinen Flamenco’ entschieden.
- Du bist gerade hier im Tablao „Sala Andaluza“ aufgetreten. Und Du hast mir gesagt, dass Du Dich bei den Musikern entschuldigen möchtest. Was meinst Du damit?
Obwohl ich eine Japanerin bin, unterstützen mich die erfahrenen spanischen Künstler (Gesang: Luis Moneo, Gitarre: Manuel Moneo). Das ist mir eine große Ehre. Aber ich bin noch nicht gut genug. Die Spanier haben den Flamenco in sich seit ihrer Kindheit. Ich versuche mit voller Konzentration mich an die spanischen Musiker anzupassen. Aber nach jedem Auftritt denke ich, dass ich es nicht geschafft habe. Heute wieder nicht. Das ist der Grund meiner Entschuldigung.
Ehrlich gesagt erinnere ich mich überhaupt nicht, wie ich heute getanzt habe. Auf der Bühne konzentriere ich mich ganz auf die Musik. Da finde ich jeden Moment, dass mir etwas Wichtiges fehlt.
Auf die Zusammenarbeit mit den spanischen Profi-Künstlern habe ich mich lange vorbereitet. Ich habe an meiner Koordination gearbeitet. Und ich habe darüber hinaus versucht, das Flamenco-Gefühl der Spanier in meinem Körper zu verinnerlichen. Mein Wunsch ist, dass das Publikum die Darstellung der Musik durch meinen Tanz genießt.
Ich denke, dass wir ausländischen Tänzer für die spanischen Künstler noch Kinder sind. Wir kommen jetzt endlich auf die Startlinie, um Flamenco zu erleben. Es ist aber möglich, dass wir irgendwann den puren und wirklichen Flamenco aufführen können, solange wir vor spanischen Künstlern Respekt haben.
[Anmerkung] Das Interview wurde am 29. März 2024 durchgeführt.
18. Flamenco Festival Esch in Luxemburg
Text: Chie Martin
Fotos: Peter Martin
Das diesjährige Flamenco Festival Esch fand vom 12. bis 25. Mai 2025 statt. Esch-sur-Alzette ist die zweitgrößte Stadt des Großherzogtums Luxemburg mit ca. 36.000 Einwohnern, sehr nahe der Grenze zu Frankreich.
Das Festival veranstalten die Kulturfabrik Esch zusammen mit dem Círculo Cultural Español Antonio Machado. Der Schwerpunkt des Festivals lag bislang immer beim traditionellen Flamenco. Aber dieses Jahr stellten die Organisatoren aktuelle Entwicklungen des Flamencos in den Mittelpunkt. Also Flamenco in Verbindung mit zeitgenössischen Ausdrucksformen.
Bis vor einigen Jahren konnte man zeitgenössische Produktionen regelmäßig im bekannten Flamenco Festival im Tanzhaus nrw in Düsseldorf erleben. Darunter Auftritte z. B. von Chloé Brûlé und Marco Vargas oder von Juan Carlos Lérida.
Israel Galván oder Andrés Marín oder Eva Yerbabuena begannen bereits in den 90er Jahren, zeitgenössische Einflüsse aufzunehmen. Aktuell erleben zeitgenössische Flamencoproduktionen eine Hochphase.
In Esch gab es insgesamt sechs Auftritte. Drei davon hatten keinen Flamenco-Gitarristen, zwei davon keinen Flamenco-Sänger. Stattdessen wirkten Percussionisten oder Allroundmusiker mit. Der Tanz war nicht improvisiert, aber sehr gut choreografiert. Die männlichen Tänzer sah man in einigen Szenen mit nacktem Oberkörper. Manchmal rollten sie sich auf dem Boden herum. Erzählen, Schreien, Singen gehörte ebenfalls zu üblichen Ausdrucksformen der Tänzer und Musiker.
Der Auftritt am ersten Abend „Pellizco“ von der Kompanie Iván Vargas war die einzige traditionelle Aufführung mit den drei Elementen Gesang, Gitarre und Tanz. Die Gasttänzerin Nazaret Reyes (Tochter von Juana Amaya und Cristóbal Reyes) war die einzige, die im Festival ein Tanzkleid (Traje de flamenca) trug.
Iván Vargas stammt aus der legendären Familie aus Granada, zu der u.a. Manolete, Mario Maya, Juan Andrés Maya und Juan Maya „Marote“ gehören. Das Tablao „La Cueva de la Rocío“ in Sacromonte ist sein Revier. Der Auftritt beinhaltete Soleá por Bulería, Malagueña/Verdiales, Seguiriya, Taranto/Tango de Granada, Cantiña und Bulería.
Der nächste Abend begann zunächst mit einem Gitarren Solo Konzert mit David Caro. Dann folgte das sehr faszinierende Bühnenstück „Deuteronomio 5: 8-10“ mit den zwei Tänzern Iván Orellana und Alberto Sellés. Der alttestamentliche Titel weist schon auf die christliche Religion als Hauptbezug des Stückes hin. Und in der Tat erkennen wir im Stück Referenzen und Elemente wie die Prozessionen der Semana Santa, der heiligen Woche, Büßergewänder oder die Statue Pieta, die die Gottesmutter Maria zeigt, wie sie den alten Körper Jesus Christi nach einer Kreuzabnahme auf ihrem Schoß hält.
Das zentrale Motiv in „Fragmentos de la Noche“ von Sara Jiménez ist der Apfel, ein grüner Apfel, der in Andalusien „el pero“ genannt wird. Er symbolisiert Einwände oder Kritik („pero“ heißt auf Deutsch „aber“). Die aufgesteckte offen Schere im Apfel symbolisiert die Zerschneidung oder Zerstörung dieser Kritik. Man findet dieses Symbol auf dem religiösen Fest in ihrer Heimat Granada, El Día de la Cruz, mit der Intention, negative Kritik an den Kreuzen zu vermeiden. In ihrem Stück verwendet sie diese Symbolik in einem gesellschaftspolitischen Kontext. Die Geschichte wurde temporeich inszeniert, daher kam auch nie Langeweile auf. Für die Produktion arbeitet auch Juan Kruz Díaz de Garaio Esnaola aus dem Baskenland, der Gastdozent an der Folkwang Universität der Künste ist.
„Pasaje“ von der Kompanie Juan Carlos Avecilla zeichnet die Phasen eines Menschenlebens nach. Die Szene des Kinderspiels mit allen Künstlern war äußerst amüsant und die Darstellung der Geburt durch die zwei Tänzer in einem hölzernen Waschbottich war hervorragend. Die beiden jungen Sängerinnen haben auch einen guten Eindruck hinterlassen. Vor allem hatte Naike Ponce, die beim Latin Grammy 2020 nominiert wurde, ein starke Präsenz.
Der Highlight des Festivals der besonderen Art war „Baile de bestias“ von Jesús Carmona im Theater Esch. Er bekam schon zahlreiche renommierte Preise und ist sicherlich einer der besten Tänzer der Welt. Den Spitzentänzer begleitete der Allroundmusiker Manu Masaedo. Er singt Hip Hop und soll 20 verschiedene Instrumente spielen können. Jesús tanzte wenig Flamenco. Aber viele Zapateados, sogar auf einer kleinen Kiste. Seine Fußarbeit war extrem schnell und präzise. Auch Bühnenbild und Lichttechnik waren sehr gut. Der Wald wirkte schon sehr überzeugend.
Die Zuschauer waren sehr beeindruckt von dem hohen Niveau der auftretenden Künstlern. Die Liebhaber des traditionellen Flamencos vermissten allerdings die große Emotion, die sie bei dieser Art von Auftritten, nicht erreicht hat.
In der Tat, solche zeitgenössischen Tanzproduktionen sind nicht so leicht konsumierter. Man muss die Referenzen und den Kontext verstehen. Dieser kann sich in der Religion, Kultur oder Tradition eines Landes oder Gebietes abspielen. Auch wir benötigten nach den Stücken erst einmal ein paar Erklärungen von kundigen Personen. Die Kenntnis der spanischen Sprache hilft natürlich, um während des Stücks den Gesang oder die Erklärungen zu verstehen. Nichtsdestotrotz halte ich jede dieser Aufführung für sehr interessant, alles auf exzellentem Niveau und daher sehr empfehlenswert.
Neben den Bühnenaufführungen wurden Kinofilme gezeigt, u.a. „ Nueve Sevillas“ und es wurden Workshops angeboten für Gesang, Tanz und Gitarre. In Esch gibt es eine große Fangemeinde für Gesang. Dieser Kurs war am stärksten besucht.
Wir freuen uns auf das nächste Festival im Mai 2026.